Saisongärten Gießen: Ein Upgrade für die Gemeinschaftsflächen

Garten-Oasen zwischen Gemüseparzellen – die neuen Geräte machen es möglich

Balkenmäher, Sensen, Gabeln, Schubkarre und ein paar engagierte Menschen – und plötzlich entsteht neuer Raum. Wo vorher Disteln und Brennnesseln wuchsen, könnten jetzt Kinder spielen und Gärtner*innen auf Bänken sitzen und plaudern.

Hier wächst Gemüse, Gartenwissen und Gemeinschaft

Saisongärten sind eine tolle Erfindung, denn Landwirt*innen und Pächter*innen teilen sich die Arbeit. Die Landwirt*innen bereiten die Böden vor, säen ein und pflanzen. Menschen ohne Garten können für ein Jahr eine Parzelle pachten und nach Herzenslust gärtnern und ernten. Auf einem Acker liegen viele langgestreckte Gemüseparzellen nebeneinander. Hier wachsen Gemüse, Kartoffeln, Salate und Kräuter. Hier wächst aber auch Bewusstsein für die Landwirtschaft, für den Boden und das Wasser. Und aus Anfänger*innen werden nach und nach Gartenprofis.

Auch die Flächen zwischen den Gemüseparzellen haben wichtige Funktionen. Sie dienen als Blühwiesen, Freizeit- und Wegeflächen. Hier wächst auch Gründüngung wie Klee. Denn auf einem Selbsterntegarten braucht es auch Raum für Erholung, Regeneration und Austausch. Diese Gemeinschaftsflächen müssen freigehalten und regelmäßig geschnitten werden. Der Schnitt wiederum dient als Mulch oder bereichert den Kompost. Durch die SEI-Projektförderung konnten Geräte angeschafft werden, mit denen die Gärtner*innen ihre Gemeinschaftsflächen pflegen können.

Ernährungsrat Gießen und Region: Für eine starke regionale Ernährungskultur

Die Saisongärten sind 2021 durch den Ernährungsrat Gießen und Umgebung entstanden, kurz ErGi. Der ErGi versteht sich als Brücke zwischen den Bürger*innen, der lokalen Ernährungswirtschaft und der Politik. Sein Ziel ist ein zukunftsfähiges und lokal angepasstes Agrar- und Ernährungssystem. Sein Motto: „Fair zu Boden, Pflanze, Tier und Mensch“. Der Ernährungsrat besteht aus Vertreter*innen von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft. Er arbeitet mit der Stadt und dem Landkreis Gießen zusammen. Auch Institute der Justus-Liebig-Universität können unterstützen. Der Ernährungsrat wird vom Verein „Ernährungswende Gießener Land e.V.“ getragen.

Die Gärtner*innen – ein buntes Völkchen

Auf den Selbsterntegärten treffen sich Studierende, Wohngemeinschaften, junge und ältere Familien und Menschen in der Rentenphase. Meist haben die Pächter*innen keinen eigenen Garten am Haus. Auf den Selbsterntegärten können sie den Gemüseanbau ausprobieren. Die Vielfalt der Menschen und ihr Gartenbauwissen bieten Gelegenheiten für den Austausch. Wer einmal dabei war, macht häufig weiter. Nach und nach hat der ErGi die Zahl der Felder ausgeweitet.

Interview mit Birgit Kundermann, Vorständin des Vereins Ernährungswende Gießen e.V.

Was war für Sie ein schöner Moment in diesem Projekt?

Das war der Test des Balkenmähers auf dem Blühwiesenbestand. Dort wachsen ganz verschiedene Pflanzenarten mit einer unterschiedlichen Bewuchsdichte. Das Mähen ging zügig und mühelos.

Wenn jemand dieses Projekt nachmachen will, welche Erfahrungen oder Tipps können Sie geben?

Nur Mut! Und: nach vier Jahren Erfahrung mit den Saisongärten wird sehr deutlich, wie wichtig die Gemeinschaftsflächen sind. So können andere Haushalts- und Familienmitglieder mal mitkommen, sich vielleicht ein Buch mitbringen und auch verstehen, was an der Gartenarbeit so schön ist und warum sie Zeit braucht. Und natürlich, dass es jetzt bessere Möglichkeiten gibt, sich untereinander auszutauschen.

Was ist Ihre Motivation oder vielleicht auch ihr Erfolgsgeheimnis?

Wir möchten ein nachhaltiges Ernährungssystem: ökologisch – fair – regional. Zu regional gehört automatisch auch saisonal. Die Gärtnerei macht Spaß. Und es ist an verschiedenen Standorten eine nette Gemeinschaft entstanden. Manche kommen, obwohl sie zuhause im Garten auch alleine gärtnern könnten. Andere gehen, weil sich die Lebensumstände geändert haben, weil es einfach zu viel ist, oder weil sie sich dauerhaft für das Gärtnern entschieden haben und in der Zukunft einen Kleingarten bewirtschaften. Wir bleiben durch Veranstaltungen und Austausch verbunden. Auf den Gemeinschaftsflächen veranstalten wir hin und wieder ein Brunch. Wir sind mitten im Corona-Syndrom 2021 gestartet und hatten eine riesige Nachfrage. Denn die Menschen suchten nach pandemieverträglichen Freizeitaktivitäten und es gab eine Rückbesinnung auf das Örtliche und das Naturnahe. Dieses Interesse ist nicht verschwunden.

Wenn viele Menschen diese Idee umsetzen würden, wie sähe die Welt dann aus? Und was bräuchte es dafür?

Es gäbe mehr ausgeglichene und zufriedene Menschen. Und mehr Wertschätzung gegenüber den Mühen und Risiken in der Landwirtschaft, aber auch mehr Geschmack und Frische in der Küche. Man könnte außerdem die Wirkungen der Blühwiesen, der Gemüsesortenvielfalt und der Insekten auf die Biodiversität ermitteln und die CO2-Bilanz in den Gärtner*innen-Haushalten berechnen. Wir freuen uns daher auf Student*innen des Fachbereichs Agrar- Ernährungs- und Umweltwissenschaften der Universität Gießen, die das erforschen möchten.

Wie geht es jetzt weiter?

Im nächsten Jahr möchten wir mit den guten Arbeitsmöglichkeiten die Kompostwirtschaft gemeinschaftlich anschieben. Jetzt haben wir nötige Ausstattung dafür.

Zum ErGi und den Saisongärten geht’s hier lang: https://ernaehrungsrat-giessen.de/

Interview und Text: Gesa Maschkowski